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Selbstoffenbarung des Therapeuten – Kongruenz oder Grenzüberschreitung?

Therapeutische Beziehungen leben von Vertrauen, Empathie und Authentizität. Doch wo liegt die Grenze zwischen hilfreicher Selbstoffenbarung und einer problematischen Grenzüberschreitung? Die Antwort ist nicht immer eindeutig, da sie sowohl von der therapeutischen Haltung als auch von den individuellen Bedürfnissen des Klienten abhängt.

Wann ist Selbstoffenbarung förderlich für den therapeutischen Prozess?

Selbstoffenbarung kann besonders dann wertvoll sein, wenn sie gezielt und reflektiert eingesetzt wird. Sie kann dabei helfen, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, dem Klienten das Gefühl zu geben, verstanden zu werden, und Hoffnung oder Perspektiven aufzuzeigen. Wenn ein Therapeut beispielsweise kurz von eigenen Bewältigungsstrategien in schwierigen Zeiten berichtet, kann dies motivierend und entlastend wirken. Wichtig ist dabei jedoch, dass die Selbstoffenbarung stets im Dienst des Klienten steht. Sie sollte nicht den Fokus von dessen Anliegen ablenken oder dazu führen, dass der Therapeut emotionale Unterstützung von seinem Klienten erwartet. Der therapeutische Prozess darf nicht zu einer wechselseitigen Beratung werden, sondern bleibt klar auf das Wohl des Klienten ausgerichtet.

Abgrenzung zu therapeutischen Richtlinien und ethischen Dilemmata

Therapeutische Ethik und Richtlinien, wie sie beispielsweise in den berufsständischen Kodizes verankert sind, betonen die Notwendigkeit professioneller Distanz. Zu viel oder unangemessene Selbstoffenbarung kann das therapeutische Gleichgewicht stören und sogar Abhängigkeitsverhältnisse schaffen. Ein weiteres ethisches Dilemma ist die Frage, wie viel Persönlichkeit ein Therapeut in den Raum bringen darf, ohne dabei seine Rolle zu verlieren. Während in der klientenzentrierten Therapie nach Carl Rogers Kongruenz eine wichtige Rolle spielt – also die authentische, stimmige Präsenz des Therapeuten – darf dies nicht in eine übermäßige Ich-Zentriertheit oder unprofessionelle Nähe kippen.

Fallstudien aus der Praxis

Fall 1: Die unterstützende Selbstoffenbarung Ein Klient mit sozialer Angst schildert, dass er sich unfähig fühlt, in einer Gruppe das Wort zu ergreifen. Der Therapeut erzählt kurz, dass auch er früher Schwierigkeiten damit hatte und welche Strategien ihm geholfen haben. Das Ergebnis: Der Klient fühlt sich verstanden und gewinnt Mut, sich neuen Herausforderungen zu stellen.

Fall 2: Die problematische Grenzüberschreitung Ein Therapeut teilt in einer Sitzung mit, dass er selbst gerade eine schwierige Trennung durchmacht. Der Klient, der selbst unter Beziehungsproblemen leidet, fühlt sich dadurch belastet und beginnt, sich Sorgen um den Therapeuten zu machen. Hier gerät die therapeutische Rolle ins Wanken, weil die persönliche Offenbarung des Therapeuten den Fokus vom Klienten ablenkt.

Die Balance finden

Selbstoffenbarung kann eine kraftvolle Ressource im therapeutischen Prozess sein, solange sie reflektiert, dosiert und zielgerichtet eingesetzt wird. Sie darf nie auf Kosten der professionellen Distanz oder der emotionalen Sicherheit des Klienten gehen. Eine bewusste Abwägung zwischen Kongruenz und professionellen Grenzen ist entscheidend, um eine heilsame und vertrauensvolle therapeutische Beziehung zu gestalten.

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Andy Weinert

Dozent für mündliche Prüfungstrainings


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